Seit mehr als 30 Jahren ist Hilda Wischnewski Teil der gfi. Derzeit arbeitet sie bereits im siebten Jahr in der Jugendsozialarbeit an Schulen (JaS) an der staatlichen Berufsschule Bad Kissingen. Sie steht den Jugendlichen dort bei allen Anliegen und Problemen zur Seite – sei es in der Schule, im Betrieb oder im persönlichen Umfeld.
Frau Wischnewski, welche Aufgaben übernehmen Sie als Jugendsozialarbeiterin an der staatlichen Berufsschule Bad Kissingen?
Hilda Wischnewski: Hier an der Berufsschule stehe ich grundsätzlich allen Schüler*innen als neutrale Ansprechpartnerin zur Seite. Egal, welches Problem sie belastet, welche Benachteiligungen daraus schon entstanden sind oder entstehen können, sie können jederzeit zu mir kommen – sei es bei Fragen rund um die Schule, die Ausbildung, den Betrieb, die psychische Gesundheit oder das soziale Umfeld, wie Freundschaften, Familie oder Beziehungen. Ich höre den Jugendlichen dann zu und wir suchen gemeinsam nach Lösungen.
Eltern dürfen sich natürlich auch gerne an mich wenden. Dem Alter der Schüler*innen geschuldet hält sich diese Elternarbeit jedoch in Grenzen. Auch Lehrkräften stehe ich als Ansprechpartnerin zur Verfügung, besonders wenn sie sich um einzelne Schüler*innen Sorgen machen.
Meine Hauptaufgabe ist diese Einzelfallarbeit und individuelle Unterstützung. Zudem organisiere ich auch eine Vielzahl an Projekten mit präventivem und persönlichkeitsentwickelndem Charakter. Für bestimmte Themen lade ich externe Fachreferent*innen ein. Einige Angebote, wie Kommunikationstrainings, leite ich selbst an. Gerne arbeite ich beispielsweise mit der bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus zusammen oder versuche, eine Lehrkraft aus der Jugendstrafanstalt in Ebrach als Referent*in zu gewinnen. So erhalten meine Schüler*innen Einblicke in den Häftlingsalltag, was oft zu einem Umdenken führt. Viele erkennen dann, dass eine Haftstrafe alles andere als ein Spaziergang ist. Ich habe auch einen Kollegen vom bfz Hof, der einen Workshop zum Thema Migration anbietet. Er spricht unter anderem über seine eigene Fluchterfahrung und das Ankommen in Deutschland. Wir thematisieren die Fluchtgründe für Migranten und warum Deutschland ein beliebtes Land ist. Mein Ziel ist es an der Stelle Vorurteile abzubauen und für mehr Verständnis und Offenheit zu sorgen.
Der Schulanfang ist für viele Schüler*innen eine aufregende, aber auch herausfordernde Zeit. Wie unterstützen Sie mit der JaS die Jugendlichen zu Beginn des Schuljahres?
Hilda Wischnewski: An der Berufsschule verläuft der Schulstart etwas anders als an Regelschulen. Es gibt zwar einen offiziellen ersten Schultag, an dem die Schüler*innen aus der näheren Umgebung anwesend sind. Viele Auszubildende, die aus weiter entfernten Regionen kommen und blockweise unterrichtet werden, beginnen das Schuljahr erst zu einem späteren Zeitpunkt. Der Schulstart zieht sich deshalb oft bis zu den Herbstferien, bis jede*r einmal anwesend war.
Ich stelle mich als erstes in allen Fachklassen als Ansprechperson vor und reagiere auf erste Fragen. Etwas später gehe ich auch in die Berufsvorbereitungsjahre (BVJs). Diese Klassen haben zwar eigene sozialpädagogische Betreuung, aber bei Bedarf können sie zusätzlich gerne auf mich zukommen. Im kommenden Schuljahr sind das insgesamt 30 neue Klassen.
Für ein Gespräch mit mir dürfen die Schüler*innen in der Regel den Unterricht verlassen. Deshalb achte ich bei einer Terminvergabe darauf, dass dies in Fächern geschieht, in den der verpasste Stoff gut nachgeholt werden kann. Selbstverständlich bin ich auch spontan erreichbar und insbesondere in Notfällen gibt es natürlich die Möglichkeit einfach bei mir zu klopfen. Wenn jemand verzweifelt vor meiner Tür steht, lasse ich alles andere liegen, um zu helfen. Mir ist wichtig, dass jede*r von Anfang an weiß, dass ich für alle Anliegen ein offenes Ohr habe.
Welche Herausforderungen und Schwierigkeiten treten zu Beginn des neuen Schuljahres auf und wie unterstützen Sie die Jugendlichen dabei als JaS-Kraft?
Hilda Wischnewski: Die Jugendlichen müssen sich an viel Neues gewöhnen: eine neue Schulstruktur, neue Mitschüler*innen, neue Lehrkräfte und ein neuer Betrieb. Manche konnten bereits durch Praktika erste Erfahrungen im Berufsumfeld sammeln, während für viele das Arbeitsleben völliges Neuland ist. Einige junge Erwachsene fühlen sich dann mit intensiverem Leistungsdruck konfrontiert und überfordert. Als Berufsschüler*in oder Berufsanfänger*in haben sie plötzlich deutlich weniger Freizeit, längere Schultage mit langen Fahrtzeiten und verbringen auch weniger Zeit mit der Familie.
Für manche Jugendliche bringt auch das Schlafen in auswärtigen Unterkünften während der Schulzeit Herausforderungen mit sich. Zum Beispiel kann es schwierig sein, sich von Mitbewohner*innen abzugrenzen, wenn es um die Freizeitgestaltung geht. Dieser soziale Druck ist für viele eine Belastung. Wenn die Mitbewohner*innen ausgehen, besteht oft der Druck mitzugehen, um nicht als Außenseiter*in dazustehen, obwohl es einem lieber wäre, ins Bett zu gehen oder noch zu lernen. Auch Heimweh ist für viele ein Problem.
Das ist aber alles ganz individuell, wie sich die Jugendlichen entwickeln oder wie intensiv der Druck, das Heimweh und das neue Umfeld empfunden wird. An dieser Stelle komme ich mit meiner Einzelfallarbeit ins Spiel. Ich konzentriere mich auf die persönliche Lebenssituation und die Befindlichkeit der Schüler*innen und arbeite dabei zugewandt und lösungsorientiert mit ihnen zusammen.
Gibt es auch Jugendliche, die mit Schwierigkeiten im Ausbildungsbetrieb zu Ihnen kommen? Wie helfen Sie in solchen Fällen?
Hilda Wischnewski: Da biete zum Beispiel ein Coaching an, welches den Jugendlichen helfen soll ihre Anliegen gegenüber ihren Vorgesetzten klar zu kommunizieren. Das gilt besonders in Situationen, in denen sie sich bei Kritik ungerecht behandelt oder nicht ernst genommen fühlen. In solchen Fällen arbeite ich mit den Jugendlichen an Strategien und an der Stärkung des Selbstbewusstseins und des Selbstvertrauens. Vereinzelt begleite ich die Jugendlichen auch direkt in den Betrieb oder nehme Kontakt auf, wenn sie mich darum bitten. In einem Gespräch zu dritt helfe ich als neutrale Person, wichtige Angelegenheiten zu klären und Probleme aus der Welt zu schaffen.
Ich arbeite auch mit den Kammern (IHK – Industrie- und Handelskammer und der HWK-Handwerkskammer) zusammen. Wenn ich beispielsweise feststelle, dass ein Unternehmen den Jugendarbeitsschutz verletzt, ein Schüler nach dem Schulunterricht noch arbeiten soll oder ein Azubi im ersten Ausbildungsjahr Bereitschaftsdienst übernehmen muss, unterstütze ich die Betroffenen zunächst dabei, den Dialog mit ihren Vorgesetzten zu suchen. Letztendlich möchte sie auch ermutigen Verstöße bei ihrer Kammer zu melden. Diese hat das Recht, zu überprüfen, ob eine Ausbildung ordnungsgemäß verläuft. Dafür reicht jedoch keine anonyme Beschwerde. Auch wenn ich das Gespräch mit der Kammer leider nicht direkt für die Jugendlichen übernehmen kann, begleite ich sie gerne.
Warum spielt die JaS eine wichtige Rolle in der Unterstützung von Jugendlichen, die mit sozialen Herausforderungen konfrontiert sind?
Hilda Wischnewski: Das Wichtigste ist, dass JaS ein niedrigschwelliges, unkompliziertes und freiwilliges Angebot ist. Die Schüler*innen müssen nicht erst einen Termin ausmachen oder eine externe Beratungsstelle besuchen. Sie können einfach bei mir vorbeikommen, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. An unserer Berufsschule bin ich eine neutrale Ansprechperson und unterliege der Schweigepflicht. Die Jugendlichen können also ganz sicher sein, dass alles, was wir besprechen, unter uns bleibt – es sei denn sie beauftragen mich mit einer Lehrkraft, Vorgesetzten, Eltern oder anderen Institutionen Kontakt aufzunehmen. Ziel dabei ist, ein gemeinsames Gespräch vorzubereiten oder Informationen für weiteres Vorgehen zu bekommen. Die Schüler*innen entscheiden selbst, welche nächsten Schritte sie gehen wollen, wann sie das tun oder ob sie das überhaupt tun möchten. Sie erfahren so Selbstwirksamkeit. Diese Bedingungslosigkeit von JaS macht es für viele Jugendliche leichter, sich mir anzuvertrauen und zu öffnen.
Es ist nachgewiesen, dass Jugendliche in erster Linie ihrer Peer-Gruppe vertrauen. Dort kann nicht alles aufgefangen werden und die unterschiedlichsten Ratschläge von Freund*innen führen oft zu noch mehr Ratlosigkeit, Verwirrung oder Frustration. Dafür ist die JaS da. Bei mir finden die Jugendlichen ein offenes Ohr, ich höre ihnen zu und unterstütze mit meinem Wissen und meinen Erfahrungen. Ich nehme ihre Sorgen und Nöte ernst, ohne zu bewerten oder zu urteilen. Ich fordere keine Leistung von den Jugendlichen und habe keine bestimmten Erwartungen an das Verhalten und die Lebensziele der Schüler*innen. Und wenn ich mal bei einem Problem nicht mehr die richtige Ansprechperson bin und für den Lösungsweg Spezialwissen erforderlich ist, greife ich auf mein Netzwerk zurück. Ich vermittle passende Beratungsstellen und begleite zu Erstgesprächen.
Bei mir gilt: Fragen kostet nichts und kein Gespräch ist umsonst, irgendwas kommt immer dabei raus.
Wie haben Sie sich beruflich entwickelt, und warum sind Sie letztendlich bei der Jugendsozialarbeit hängen geblieben?
Hilda Wischnewski: Ich bin ins Unternehmen eingestiegen, da gab es die gfi als Unternehmenszweig noch gar nicht. Damals gab es ausschließlich das bfz. Dort habe ich angefangen, mit arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Kursform zu arbeiten. Dabei fehlte mir jedoch etwas. Ich hatte nie genügend Zeit um tiefer nach den Ursachen und Hemmnisse der Betroffenen zu suchen und tiefer in die Thematik einzusteigen. Trotzdem habe ich das sieben Jahre lang sehr gerne gemacht. Dann wurde gemeinsam mit dem Jugendamt eine offene Anlaufstelle „Berufsbezogene Jugendhilfe“ eingerichtet, in der ich vielseitige Unterstützung anbieten konnte. Das Thema Integration in Arbeit und Beruf blieb weiterhin wichtig, aber der Fokus lag jetzt darauf, die persönlichen Lebensumstände der Jugendlichen zu berücksichtigen. Es ging darum, eine Basis zu schaffen, damit sie sich überhaupt auf ihren Beruf konzentrieren können und die Chance haben, dort stabil Fuß zu fassen.
Tatsächlich war ich auch eine Zeit lang mit älteren Langzeitarbeitslosen tätig und habe sechs Jahre in der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer gearbeitet. Dennoch waren Jugendliche und junge Erwachsene immer meine bevorzugte Zielgruppe. Sie haben noch so viel vor sich, haben oft schon viel Leid erlebt oder stecken gerade mitten darin. Für mich ist es sehr erfüllend und motivierend, diese jungen Menschen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten. Wenn ich erlebe, dass jemand zu mir sagt „Vielen Dank, das Problem ist gelöst. Ich brauche Sie nicht mehr“, ist das ein riesiger Erfolg für mich.
Wie erleben die Jugendlichen die JaS, und nehmen die Schüler*innen Ihre Unterstützung an?
Hilda Wischnewski: Zu dieser Frage möchte ich einfach ein paar Rückmeldungen meiner Schüler*innen teilen. Diese zeigen am besten, wie gut ihnen ein Gespräch mit mir weiterhelfen kann.
„Danke für die Tipps, wie ich meine meiner Chefin sagen kann, worum es mir geht. Ich hätte sonst die Ausbildung wahrscheinlich echt abgebrochen.“
„Sie haben mir Mut gemacht, endlich konnte ich mich gegenüber meiner Familie outen.“
„Schön, dass Sie mit mir die Idee einer Verabredung zum Spaziergang mit meiner Mutter besprochen haben. Ich hab‘s gemacht und bin mit Ihr ins Gespräch gekommen. Sie hat mir wirklich zugehört und gesagt, dass sie gar nicht mitbekommen hat, wie es mir geht. Wir wollen das jetzt öfters machen.“
„Es war echt schön in der schwangeren Beratungsstelle und vielen Dank, dass Sie mir auch die Nummer gegeben haben und sagten, wo ich hingehen kann. Das hat mir sehr geholfen.“
„Hi, mir geht es wieder gut. Ich habe mit ihm gesprochen und er hat sich entschuldigt und wir haben alles geklärt und seitdem ist nichts mehr vorgefallen.“
„In der Prüfung war es eigentlich ganz in Ordnung. Zwischendurch hatte ich mal Angst, aber das ging recht schnell weg. Habe mir Ihre Verknüpfung mit dem Raum, der mir Schutz bietet, immer wieder vor Augen geführt.“
„Alles läuft sehr gut im neuen Betrieb und momentan bin ich froh. Vielen tausend Dank für Ihre Bemühungen.“
Das Feedback der Schüler*innen ist mir sehr wichtig und berührt mich oft. Es zeigt mir, dass JaS wirklich etwas bewirkt. Ich wünsche mir, dass dieses Vertrauen und die enge Zusammenarbeit mit den Jugendlichen auch in den nächsten Jahren bestehen bleibt. Es wäre toll, wenn jede Schule diese Unterstützung anbietet. Meiner Meinung nach sollte JaS an allen Schulen ein fester Bestandteil sein.